"Farbe bekennen!" 20.01. - 11.03.2018, Klinger-Villa Leipzig (Karl-Heine-Straße 2, 04229 Leipzig)



Michael Hametner
Zur Ausstellung „Farbe bekennen!“ von Christl Maria Göthner in der Leipziger Klinger-Villa, 20. Januar 2018

Liebe Christl, lieber Stephan, meine Damen und Herren!

Farbe bekennen heißt die Ausstellung mit neuen Bildern von Christl Maria Göthner, zu der die Künstlerin uns eingeladen hat. Die Bilder stammen überwiegend aus den letzten Monaten.
Die Formulierung FARBE BEKENNEN führt uns schnell zu einem Doppelsinn. Wenn eine Bildende Künstlerin sie verwendet, heißt es: ihre Malerei weicht Farben nicht aus, im Gegenteil: sie besteht auf Farben, weil die Welt, wie sie sie in ihrem Innersten empfängt: Farben hat. Maltechnisch gesprochen: Sie baut ihre Bildererfindungen nicht zuerst mit Linien, die Formen und Flächen umreißen, sondern vor allem mit Farben. Sie bekennt sich also zur Farbe.
Aber da ist noch ein zweiter Sinn. Wer Farbe bekennt, bekennt sich zu einer Wahrheit: und zwar einer Wahrheit, die bisher halb verdeckt war, die möglicherweise unbequem ist: die jedenfalls Konsequenz braucht: Wer Farbe bekennt, zeigt Konsequenz.
Damit haben wir zwei Betrachtungsweisen für die neuen Bilder von Christl Maria Göthner.
Die Meisterschülerin von Bernhard Heisig hat über die Jahre ihre Malweise geöffnet – nicht hin zur Farbe, eine Coloristin war sie immer schon, aber hin zu einem anderen Umgang mit der Farbe auf der Leinwand. Hier fand die Öffnung statt: hin zur Transparenz. Der Maler Bernhard Heisig ist ihr wichtig gewesen, sonst hätte sie sich ihn nicht als Meister ausgesucht. Heisigs Coloristik liegt um einige Ton-Oktaven tiefer. Bei seiner Art der Prima-Malerei drückt er die Farbe aus der Tube mit dem Pinsel auf die Leinwand. Die Leinwand wird darunter dick und schwer, wie er sie brauchte als Bildträger für seine Albträume von Krieg und Gewalt.
Dieses Naturell ist Christl Maria Göthner nicht. Es mag nicht nur sein, sondern es wird so sein, dass ihrem Wesen die unbeschwerte Heiterkeit nicht gegeben ist, aber sie versucht sie in ihren Bildern zu greifen. Wir suchen immer nach den Gegenwelten, uns zieht an, was wir selbst nicht haben oder sind. FARBE BEKENNEN meint in diesem Sinn, sich zu den Farben dieser Welt zu bekennen. Dass man trotzdem beispielsweise bei Porträts Brüchen auf die Spur kommt, ist ja richtig und nicht zu übersehen. Aber sie macht es schon lange nicht mehr mit schwerer Ölfarbe durch Übermalungen oder mit dem Spachtel, was Schicht für Schicht der Leinwand den Atem nimmt, sondern sie macht es schon seit etwa zehn Jahren mit einer besonderen Farbe: mit wassermischbarer Ölfarbe. Diese Farbe lässt der Leinwand Luft zum Atmen und treibt die Künstlerin einer Leichtigkeit entgegen, wie sie sie mehr und mehr mag und will.

(An dieser Stelle darf ich kurz anmerken, wie sehr das Leben selbst einem unerkannten Plan folgt. Der Wechsel zu WASSERMISCHBARER Ölfarbe, die tatsächlich dem Streben nach größerer Transparenz folgte, entstand aber eigentlich als Ausweg aus einem mit Terpentin verpesteten Atelier-Luft! Wir gehen uns manchmal selbst entgegen, ohne es zu wissen. Was letztlich gerade für Maler in dem unbestreitbaren, aber unerklärbaren Satz mündet: Das Bild ist klüger als der Maler, der es gemalt hat.)
Die Künstlerin will nicht nur FARBE BEKENNEN, sie vermag es auch, weil sie einiges in ihrem Künstler- und Frauen-Leben geklärt hat. Das hängt – zumindest im Sinne eines symbolischen Stichtags – mit einem runden Geburtstag zusammen. Für Christl Maria Göthner bedeutet er AUFBRUCH. Zu einem Werk, in dem sie Farbe bekennt. Etwas klären, sich klären – sind ganz wichtige Voraussetzungen für ein richtiges Leben und natürlich für die Kunst. Auf der Basis des Geklärten (als festem und sicheren Fundament) werden neue Kunstwerke dann zu Abenteuerfahrten in ungeklärtes Gefilde. Das ja – aber ein sicheres Fundament muss es zuvor geben.
Erst einmal genug herum-philosophiert an und um Christl Maria Göthner. Ich möchte ihrer Kunst gegenüber indiskret sein (das war schon mein Anliegen als Gastgeber des MDR-Lese-Cafés, was mich mit Christls Lebenspartner Stephan König als musikalischem Partner dieses Literaturtalks verbindet) – indiskret gegenüber dem Werk, aber nicht gegenüber ihrer Person. Zumindest nicht mir zudringlichen Worten – wenn hier etwas indiskret ist, sind es ihre Bilder. Aber freilich auf dem schwankenden Boden der Sprache der Kunst.
Ein Thema, das sie bereits in vielen Arbeiten ausgedrückt hat, ist der Tanz bzw. die Tänzerin oder der Tänzer. Ich erinnere dabei nicht nur an Leinwände, auch in ihrem großen Werkteil, dem Holzschnitt, hat sie immer wieder dieses Sujet aufgegriffen. Was ist Tanz: Es ist die Umsetzung von Musik in Bewegung. Es ist eine Interaktion, es ist ein Gefühlsausdruck, der ganz stark an Freiheit gebunden ist. Im Tanz sind wir frei bzw. könnten es nach Verlassen der Tanzstunde sein. - Genau die Erfahrung dieser Freiheit will uns die Künstlerin in ihren Bildern zum Thema Tanz zeigen. Das sagt sich hier leichter, als es gelingt. Aber sie vermag es.
Sie nennt ihre Tanzbilder PRELUDES. Sie sind schon lange nicht mehr nur in wörtlichen Übersetzung VORSPIEL – bei Chopin waren sie der Gipfelpunkt seines Werks – Preludes sind Charakterstücke, natürlich mit großem Spiel-Charakter wie der Tanz selbst. - Hier, in ihren Tanz-Preludes, verwirklicht die Künstlerin ihre Vorstellung von einem freien Ausdruck. Sie folgt nicht dem äußeren Bild des Tänzers, sondern sie sucht das Unmögliche: die Bewegung festzuhalten.
Das große Manko der Malerei ist es, keine Bewegungskunst sein zu können: sie hat – anders als Film und Theater - nur den Moment. Immer gab es Künstler, die genau dieses Manko angfixt hat, es zu durchbrechen. Das braucht natürlich eine freie Malweise: mit dem Schwung von Linie und Farbe. Sofort fällen mir die Tänzerinnen von Degas ein, aus neuerer Zeit Francis Bacon und dessen kreiselnde Figuren.
Christl Maria Göthner ist auf ihre Weise der Bewegung als Bildausdruck auf der Spur. - Diese Bilder ziehen mich ganz stark an und ich denke in ihnen bekennt die Künstlerin FARBE. Sie zeigt mit Konsequenz, dass der Tanz für sie Ausdruck größter Freiheit ist.

FARBE BEKENNEN. Sie geht an das eigentlich in der Malerei Unmöglicher heran: die Umsetzung der Freiheit (als dem inhaltlichen Thema) in das Form-Thema Bewegung. Und sie wird dabei immer stärker, was heißt: leichter, müheloser (natürlich nur: scheinbar müheloser) und selbst als Malerin freier.
Ein zweites großes Thema – auch nicht neu in ihrem Werk – ist das Porträt. Nicht viele Künstler beherrschen diese Form. Mit großer Freude habe ich im Sommer in Venedig die Ausstellung von David Hockney gesehen: 70 Porträts als Charakterstudien. - Von den mir näheren Malern, näher im Sinne des persönlichen Umgangs, sind es beispielsweise Sighard Gille und Johannes Heisig.
Jedes Gespräch mit Künstlern über das Porträt berührt immer die Frage von Ähnlichkeit des Porträtierten und individueller Malersicht. Darin, wie sie beantwortet wird, unterscheiden sich die Auffassungen der Maler. In der Regel möchte der Porträtierte die Ähnlichkeit sehen und der Maler möchte das Echo des Menschen in ihm zu fassen bekommen. Das Echo ist etwas ganz anderes als die Porträt-Ähnlichkeit.
Im Sinne ausgeprägter malerischer Individualität ist jedes Porträt auch ein geheimes Selbstporträt. Es ist ja wohl eine Mär, dass der Maler den Charakter seines Gegenübers erfaßt und malerisch ausdrückt. Da überfordern wir ihn und er überfordert sich. Auch der Gedanke, dass jedes Porträt praktisch ein Selbstporträt des Künstlers darstellt, führt nicht zu einer klar überprüfbaren Antwort. Immer geht es um ein Bild, das entsteht.
Sie können und sollten aufmerksam das Porträt ansehen, dass die Künstlerin von ihrem Lebensgefährten, dem Komponisten und Pianisten Stephan König gemacht hat. Sehen wir seinen Charakter, seine Biografie, sein nächstes Kompositionsprojekt? Ich denke: nein.
Ein großes Thema, was das Porträt als eines der ältesten Sujets in der Bildenden Kunst aufwirft – und was wiederum Sie als Betrachter einlädt zum genauen Schauen. - Begleitet werden die Porträts in dieser Ausstellung von einem Video, das Stephan König gemacht hat. Er betrachtet 22 Porträts in ihrer Entstehung und durch das Nebeneinander von porträtierter Person und Bild. Dieses Video von Stephan König ist hier zu sehen.
Die dritte Motiv-Konstante von Christl Maria Göthner sind die Landschaften: die Stadtlandschaften wie die von Park und freier Natur. Hier wird noch einmal am deutlichsten wie die Künstlerin als Expressionistin (ich sage nur: FARBE BEKENNEN) zugleich eine Impressionistin ist. Sie hat die wunderbare Gabe, Impressionen zu empfangen und in ein farbstarkes Bild zu verwandeln. Ohne dass ihr äußere Abbildabsichten dazwischen kommen sucht sie nach dem inneren Abbild einer Naturszene.
Plötzlich wird ihr Weg als Malerin deutlich: Sie kommt von Heisig, geht über Corinth zu sich selbst. Man darf die großen Namen nicht als Anleitung zum Vergleich nehmen – so wie nicht jeder Schriftsteller, der sich auf die Erzählung von Geheimnissen einlässt, ein Schreib-Bruder von Kafka ist – aber man darf die großen Namen schon als Bojen im weiten Meer der Kunst begreifen: an denen nachgeborene Maler mit ihrem Boot vorbeifahren. Denn natürlich ist Kunst nur als ein unsichtbar verbundenes Davor und Danach zu verstehen.

Christl Maria Göthner hat mir in unserem Vorgespräch noch einmal gesagt, dass sie ihr Leben in Opposition zum Leben begonnen hat. Das ist unser aller früher Impuls: das Leben so wie es ist, wie wir es von den Eltern vorgemacht, in der Schule vorgeschrieben, von der Vergangenheit vorgelebt bekommen, wollen wir nicht an- oder übernehmen. Und dann braucht man ein ganzes halbes Leben, um aus dieser wütenden Opposition herauszukommen. Weil man ein eigenes Leben (als eigenen Weg zum Glücklichsein) gefunden hat: wenn man es gefunden hat, dann kann man es endlich fließen lassen.
Dieser Punkt ist für einen Künstler ein sehr wichtiger. Er gilt nicht für jeden Künstler, nicht nur für Maler. Aber für sie ist er der Punkt, wo die Gegenwehr aufhört und man sich mittragen läßt. Das hat nichts damit zu tun, sich dem Mainstream anzuschließen, nichts mit Flucht vor den Nöten der Welt hin zur gefälligen Hauptströmung – was ganz einfach geht. Der Gewinn einer Kunsthaltung, die nicht mehr Opposition ist, ist Leichtigkeit.
Für mich gibt es dabei in der Literatur einen Großen, bei dem ich das Satz für Satz lese: Peter Handke. Seine Sätze fließen, haben keinen Ehrgeiz ständig DARLINGS zu kreieren: Darlings nennt der Schriftsteller schöne Wortfügungen, nein, es geht um das Fließen einfachster Wörter und Sätze hin zum Sinn. Ein Beispiel aus Handkes neustem Roman DIE OBSTDIEBIN. Gerade war der Zug auf freier Strecke stehengeblieben – Handke schreibt: Und jeder von uns hatte inzwischen Augen für den andern, hatte die Scheu der ersten Fahrtstunde verloren. Wie scheu waren wir Erdenwürmer doch geworden! Hat es je in der Menschenwelt so eine Menschenscheu gegeben wie unsere heutige? - Soweit Handke.
Und Christl Maria Göthner hat die Schwere hinter sich gelassen und ist bereit, auf ihre Mitmenschen zuzugehen: in Porträts, in den Tanzpreludes, auf den Bänken in ihren Parklandschaften. Je mehr die Dinge des eigenen Lebens in Ordnung sind, desto leichter kann man es fließen lassen. Das zeigen viele der Bilder dieser Ausstellung. Damit soll nicht das weiter zurückliegende Werk nachträglich abgewertet werden: sie zeigt hier einen frühen Akt von 1995, zwei Stadtlandschaften von 1996 und 2006 – in ihnen spüren wir Schwere, die jedes Leben selbstredend auch besitzt – da wurde noch die Ölfarbe gespachtelt, heute wird sie von der Malerin fast wie eine Aquarellfarbe behandelt.
Mir erscheint es als großen Zugewinn, wofür diese Ausstellung den Beweis antritt. Sie hat im am Anfang beschriebenen Doppelsinn FARBE BEKANNT. – Und dazu gratuliere ich Christl Maria Göthner sehr herzlich.